- Main Echo
Schwimmen anders herum
Andreas Grebner ist halbseitig gelähmt (Jugend-Serie Teil 4)
10. September 1990. Familie Grebner ist im Kahlgrund unterwegs, irgendwo zwischen Michelbach und Niederstein-bach. Das Auto auf der Gegenspur kommt von der Straße ab? dreht sich... kracht in den Wagen der Grebners. Ihr Baby Andreas sitzt auf der falschen Seite?
Januar 2006. Andreas ist 16 Jahre alt, seit dem Unfall halbseitig gelähmt, lernt langsamer als gesunde Kinder, braucht für den Alltag länger. Die Geschichte des Unfalls hat er wohl tausend Mal gehört, jedes Mal ist es »schrecklich. Ich bin froh, dass ich das nicht mitbekommen habe«.
Andreas schaut aus wie viele Jungs mit 16: Jeans, Pulli, Brille, kurze braune Haare. Erst auf den zweiten Blick fällt auf, dass seine linke Seite halbseitig gelähmt ist: Andreas hinkt, und seine Hand hängt leblos herunter. »Ich kann Finger und Zehen nicht bewegen, aber ich spüre warm und kalt.«
Wegen des Unfalls kann Andreas? Leben aber nicht sein wie das anderer Jungs: Er braucht ständig Hilfe im Alltag, zum Beispiel, wenn er Pullis aus dem Schrank holt und die Hälfte runterfällt. Allein schafft er es nicht, sie zurück-zuräumen. Manchmal packt ihn die Wut, dass bei ihm alles langsamer geht - zum Beispiel Kleingeld aus dem Geld-beutel holen, wenn er beim Einkaufen an der Kasse bezahlen will. Manchmal ist er auch neidisch auf seine jüngere Schwester, die gesund ist und bei der alles schneller geht.
Andreas besucht ein Internat für Körperbehinderte, den Heuchelhof in Würzburg. Er - und seine Eltern - hoffen, dass er dort den Hauptschulabschluss schafft. Am Wochenende und in den Ferien ist er zu Hause in Alzenau. Später würde er gerne in einer Bibliothek arbeiten; vor kurzem hat er in der Alzenauer ein Praktikum gemacht, das »hat mir gut gefallen«.
In vielen Bereichen gleicht sein Leben dem gesunder Kinder: Schule? »Hm. Naja.« Mag Andreas nicht besonders, Klausuren sowieso nicht. »Ich kann mir alles merken, aber in der Probe sitze ich da und weiß nichts mehr.« Das dürfte vielen bekannt vorkommen. Viel lieber mag Andreas Sport - »Laufen, Leichtathletik, Dreikampf«. Beim Landes-schulsportfest hat er erste, zweite, dritte Plätze geholt. Und er schwimmt gern.
Wegen der Lähmung klappt das nicht wie bei Gesunden: Andreas schwimmt sozusagen anders herum: der rechte Arm beschreibt einen Kreis von außen nach innen. Er spielt außerdem Keyboard und ist Messdiener bei den Alzenauer Ministranten.
Andreas und seine Eltern wollen nicht, dass erst seine Behinderung und dann seine Persönlichkeit wahrgenommen wird. Eigentlich würde er gern, so gut er eben kann, einen »normalen« Alltag leben. Deshalb wünscht er sich, »dass die Leute geduldiger sind«. In Würzburg klappt das besser als daheim, findet Andreas,
Körperbehinderte seien wegen des Heuchelhofs im Stadtleben viel stärker integriert. Ist jemand rücksichtslos, versucht er ihn zu ignorieren: »In Nürnberg hat mich mal eine angemacht«, erzählt er, nur weil sie versehentlich zusammen gestoßen seien. »Dann geh? ich einfach. Das interessiert mich nicht.« Immer gelingt es ihm nicht, Gemeinheiten und Ungeduld einfach zu überhören. »Es gab Zeiten, in denen es schlimm war. Es gab Zeiten, in denen es nicht schlimm war.«
Susanne von Mach